13. November

Mandhojs, mein Ansprechpartner und Gastgeber aus Bhimkhori holt mich morgens vom Hotel ab und per Taxi geht es zum Busbahnhof. So etwas ähnliches wie Ordnung scheint es hier nicht zu geben, Menschen und unzählige Busse bilden ein riesiges Durcheinander. Mandhoj fragt sich tapfer nach unserem Bus durch, doch der ist schon gut besetzt. Also heißt es Rucksack in den Kofferraum und rauf aufs Dach. Mir tut schon beim Gedanken an das stundenlange Sitzen auf den Eisenrohren der Hintern weh. Hinter mir klettert ein Mann hoch der sich einen aufgerollten Teppich nachreichen lässt und uns gleich anbietet, darauf Platz zu nehmen. Glück gehabt. So sitzen wir ganz entspannt auf der Teppichrolle und lassen die Beine seitlich über die Reling baumeln.

In einem kleinen Städtchen müssen wir umsteigen. Bis zur Ankunft des Anschlussbusses gönnen wir uns in einer der Imbissbuden einen Tee und ein steinhartes Gebäckstück, das aber recht gut schmeckt. Als unser Bus ankommt ist der im Untergeschoss rappelvoll und die Logenplätze entlang der Dachreling sind auch schon besetzt. Mandhojs ergattert noch einen Relingplatz und  ich setze mich ganz vorne auf den Dachträger, diesmal leider ohne Polster, mit dem Rücken zu den jungen Männern die dort auf dem Spoiler sitzen. Aber was ein Nepali-Hintern aushält sollte ein Allgäuer-Hintern auch schaffen. Nach einer halben Stunde kommen mir aber doch Zweifel und da mein Rucksack wieder im Kofferraum liegt, habe ich auch nichts dabei was ich mir unterschieben könnte. Aber plötzlich kommt der Geistesblitz - ein Schuh. Da meine Salomon-Schlappen kein festes Fersenteil haben, kann ich jetzt die nachfühlenden Fragen der umsitzenden Fahrgäste nach meinem Befinden ganz locker mit "Tik chhaa! Alles gut!" beantworten. Nach zwei Stunden ist die Schaukelfahrt beendet und wir steigen an einer Haltestelle aus, wo schon ein mit Zementsäcken beladener Kleinlaster steht. Zusammen mit etlichen weiteren Passagieren geht es nun die steile Schotterstraße hoch Richtung Ortsteil Amalbas. Bhimkhori ist eine weit verstreute Siedlung, die sich über mehrere Berghänge hinzieht und Amalbas ist der Ortsteil in dem ich wohnen werde. Mandhojs Haus und das seines Bruders liegen eng beisammen und daneben steht ein kleines Gästehaus, der größere Teil des Ortsteils liegt 300m entfernt

14. November

Die ersten Tage des Tihar-Festes, an denen Krähe, Hund, Kuh und Ochse geehrt werden, habe ich ja in Kathmandu verbracht. Heute ist der Tag, an dem Schwestern die Brüder segnen (den entsprechend anderen Tag gibt es übrigens auch). Der Begriff Bruder und Schwester darf hier aber nicht so eng gesehen werden. Zuerst wird die Zeremonie für die Buben der Familien durchgeführt. Die setzen sich ruhig und brav wie die Orgelpfeifen auf eine Strohmatte und Mandhojs Tochter Nanu umkreist sie zunächst drei Mal. Dabei gießt sie aus einem Krug eine Flüssigkeit auf den Boden. Anschließend erhält jeder drei Schluck dieser Flüssigkeit, wohl Wasser, Öl und Mich, aus ihrer Hand zu trinken. Danach bekommt jeder ein aus sechs verschiedenfarbigen Punkten bestehendes Tika aufgetragen wobei auch die guten Wünsche ausgesprochen werden. In einer Walnuß, die jedem der Jungen über den Kopf gehalten wird, soll alles Negative aus ihm aufgenommen werden. Die Nuß wird dann sofort vor der Haustüre mit einem Stein zerschmettert. Darauf folgt das was bei uns an Weihnachten die Bescherung ist. Jeder erhält einen der vorbereiteten gut gefüllten Teller überreicht. Darauf liegt jede Menge Schmalzgebäck, das am Vorabend herausgebacken wurde, Süßigkeiten, verschiedene Nüsse, Trockenobst und eine kleine Portion Zucker. Mandhojs Schwester unterzieht am Nachmittag die anwesenden älteren Herren, mich eingeschlossen, der gleichen Zeremonie. Im Unterschied zu den Jungs bekommen wir aber noch eine große Flasche Bier mit unseren Tellern  überreicht

Die restlichen Ferientage verbringe ich damit, mich mit Umgebung, Familie und deren Alltag vertraut zu machen. Wenn es geht, beteilige ich mich an den anstehenden Arbeiten wie Umhacken eines Ackers und Stecken der neuen Kartoffeln, entkernen der Maiskolben oder einfach beim Bewässern der Gemüsebeete. Beim Einfangen von Gockel und Hühnern ist meine Erfolgsquote sogar recht gut, einmal allerdings mit bösem Ende für den Gockel. Er landet nicht wie üblich unter einem Korb sondern im Kochtopf für die Hochzeit beim Nachbarn. Das tägliche Grasschneiden auf den steilen Hängen oder das Klettern auf die Bäume zum Abschneiden der belaubten Blätter für die Ziegen überlasse ich aber wohlweislich den Fachleuten. 


16. November:

Die Gemeinde Bhimkhori unterhält 13 Schulen. Hier in Amalbas gibt es eine Grundschule, doch ich werde wohl hauptsächlich im Ortsteil Badaure, fünfzehn Fußminuten weiter oben gelegen, unterrichten. Diese Secondary-School mit etwa 430 Schülern, vom Erdbeben gänzlich verschont, hat derzeit nur einen Lehrer namens Uper Singh Thing für den Englischunterricht. Da der Schulleiter nicht anwesend ist, teilt mir Uper Singh die Klassen 5, 9, 10a und 10b zu. Der  Schulbetrieb unterscheidet sich im Vergleich zu Baseri nicht sonderlich, aber als ich in die Klasse 10a komme, erschrecke ich leicht über die Klassenstärke von 39 Schülern. Doch wie ich Klasse 9 betrete, muss ich zweimal schlucken. 62 Schülerinnen und Schüler sitzen hier erwartungsvoll in ihren Bänken, für deutsche Verhältnisse wären das zwei sehr große Klassen. Pro Schüler ergibt das rein rechnerisch 45 Sekunden Zeit zum sprechen, aber dann darf ich nichts sagen. Die Woche darauf bin ich dann total platt. Ich zähle die Schülerinnen und Schüler und komme auf genau 80. Manch einer hatte wohl ihre Ferien verlängert und ist jetzt erst erschienen. Wirklicher Unterricht scheint mir fast unmöglich, doch alle sind diszipliniert und einige machen auch toll mit während andere einfach in der Masse verschwinden.


21.November:

Ich möchte mit Madhoj, der früher als Guide gearbeitet hat, eine dreitägige Tour durch die Hügellandschaft hier machen und melde mich deshalb vom Unterricht für Sonntag und Montag ab. Leider verpassen wir gleich am ersten Nachmittag den Lastwagen mit dem wir in das hoch oben liegende Dorf Galpa fahren wollen. An der Anlegestelle des Flusses, den wir in einem Schlauchboot überquert hatten, steht nur noch der Truck bis Rhumbuk, das etwa auf halber Strecke liegt. Nach einer langen Diskussion zwischen Mandhoj und den wartenden Fahrgästen bietet einer der Männer an, dass wir in seinem Haus übernachten könnten. Mandhoj darf dann im Wohnraum der Famile auf dem Boden auf einer Strohmatte schlafen, während das Ehepaar für mich das ebenfalls dort stehend Bett räumt und unter dem Dach nächtigt. Am nächsten Tag machen wir uns zeitig auf den Weg Richtung Galpa, das wir nach Mandhojs Einschätzung am Abend erreichen sollten. 

Doch heute haben wir Glück. Als wir uns einem kleinen Dörfchen nähern hören wir das Hupen von Lastwagen, die damit ihreAbfahrt ankündigen. Wir schwingen die Hufe und erwischen die beiden Trucks noch vor dem Start. Einer fährt tatsächlich nach Galpa und wir stellen uns zu den anderen Passagieren auf die Ladefläche. Zwei weitere Stunden Rüttelfahrt stehen uns bevor. 

Auf einer Kuppe hoch über Galpa findet an diesem Tag ein Fest zu Ehren einer der vielen hinduistischen Gottheiten statt, aber auch die zahlreichen Buddhisten feiern dieses Fest mit. Kaum hat mich einer der buddhistischen Mönche erblickt, fordert er mich auf in ihrer Runde Platz zu mehmen und an der Zeremonie teilzuhaben. Die Puja wird mit einem Becher Rakshi eröffnet und die umstehenden Zuschauer sind sichtlich daran interessiert ob der Fremde den Becher auch leert. Kein Problem, doch nach einer halben Stunde schlafen mir die untergeschlagenen Beine ein und ich verlasse die Runde. Der Nachmittag vergeht mit vielen Fotoshootings und radebrechenden Unterhaltungen. 

Tags darauf geht es, wieder per Truck, ins Tal hinunter und dann sechs Stunden zu Fuß auf der anderen Seite wieder berauf. Gegen Abend erreichen wir den Ort Shikarpur, Ortsteil von Bhimkhori, und von Amalbas aus gesehen auf der gegenüberliegenden Hügelkette liegend. In einer kleinen Bambushütte, der vordere Teil ist Küche, Teestube und Kiosk werden wir übernachten, drei Männer im hinteren Teil der Hütte, die Hausherrin mit drei Kindern im vorderen Teil. Da Mandhoj in der Nacht unter Magenschmerzen leidet und auch Fieber hat, statte ich am nächsten Morgen alleine der Schule einen Besuch ab. Das Erdbeben hat hier alle Gebäude zerstört, der Unterricht findet in zum Teil gänzlich offenen TLCs statt und ich darf auch gleich in Klasse zehn eine Stunde halten - mit vielen Zuschauern ringsherum. Der Rückweg nach Amalbas, normalerweise vier Stunden, zieht sich wegen Mandhojs angeschlagenem Zustand etwas in die Länge.

Uper Sing wohnt während der Woche mit seinen drei Kinder nahe der Schule und geht nur an den kurzen Wochenenden, von Freitagnachmittag bis Samstagnachmittag nach Hause. Der Ortsteil Kirauati liegt etwa zwei Fußstunden entfernt. Für ein Wochenende lädt er mich ein und ich finde hier fast die identischen Bedingungen wie bei Mandhoj. Auch hier haben zwei Brüder ihre Häuser nebeneinander gebaut, die Größe der Häuser ist nahe zu gleich und die Anzahl der Tiere ebenfalls. Hier gibt es allerdings mehr Hühner, die allesamt die Nacht unter Bambuskörben im Haus verbringen. Da ich die Nacht auf dem Boden gleich neben den Hühnerkörben verbringe, reißt mich das laute Kikeriki in aller Herrgottsfrühe doch etwas unsanft aus dem Schlaf. Uper Sings Eltern und seine Frau treiben diese kleine Landwirtschaft  für den Eigenbedarf um und wenn die Ernten gut ausfallen, kann wie üblich auch ein Teil davon verkauft werden.

3. Dezember:

Schon vor zwei Wochen hat mir ein Nachbar ein Stück einer Supary (Bethelnuss) überreicht. Damit bin ich zur Hochzeit seines Bruders am 3. Dezember eingeladen. Shyam, Mandhojs Sohn, kommt am Vortag aus Kathmandu an und ich gehe mit ihm am Nachmittag zum Haus des Bräutigams da er bei den Vorbereitungen helfen will. Als wir eintreffen, wird gerade eine Büffelhälfte auf den Hof getragen, wo schon etliche Männer, im Kreis um eine Plastikplane sitzend, damit beschäftigt sind Büffelkeulen in kleine Stückchen zu zerlegen. Die flache Halterung der gebogenen Schneidewerkzeuge unter die Beine geklemmt, schieben sie beidhändig das Fleisch über die scharfe Klinge und trennen es so durch. Auf der anderen Seite des Hofes sind die Frauen mit Vorbereitungen beschäftigt. Ein Kessel wird mit Eiern gefüllt die dann hartgekocht und geschält werden. In einem Topf köchelt bereits Fleisch. Auch ein kleiner Imbiss, Schmalzbrotringe und ein paar gebratene Fleischstückchen, werden hergerichtet.

Am nächsten Morgen soll weiter gearbeitet werden, deshalb heißt es zwischen sieben und acht da zu sein. Schule fällt also aus. Heute stehen die angenehmeren Arbeiten an bei denen ich dann auch mitmachen kann. Beim Tomaten schneiden, Kartoffeln und Zwiebel schälen kann ich mit dem Taschenmesser gegenüber den großen Khukuri durchaus mithalten. Nebenbei wird in überdimensionierten Töpfen gebrutzelt und gekocht und als kleines Frühstück werden wieder Schmalzbrotringe und knusprig frittierte Büffeldarmstückchen gereicht. Dazu gibt es wahlweise Tee oder Rhaksi. Währenddessen treffen laufend neue Gäste ein die zum Teil auch noch Essbaren mitbringen. Im Hof haben sich ein paar Musiker niedergelassen um neben der Musik von CD auch traditionelles zu bieten, ein Böllerschütze feuert ab und zu krachend seinen uralten Vorderlader ab und der Ehrenplatz für das Brautpaar wird hergerichtet sowie gegenüber die Sitzreihen für Gäste.

Gegen Mittag nimmt das Brautpaar seinen Platz ein und zuerst wird dem Bräutigam ein weißes Tuch um den Hut geflochten. In die oben entstandene Vertiefung legen alle, die dem Brautpaar ihren Segen geben, Geldscheine. Der Vater und die engsten Familienmitglieder eröffnen die lange Reihe der Tika-Geber. Vor den umsitzenden Gästen sind inzwischen auch gefüllte Teller aufgestellt worden und nach einem lauten "Laso, laso" (Begrüßung auf Tamang) das fröhlich erwiedert wird, darf gegessen werden. Währendessen steht die Arbeit an den vielen Kochtöpfen auf dem Platz nebenan nicht still, hier wird jetzt Dhaal Bhaat mit verschiedenem Gemüse und Fleisch zubereitet, das dann nachmittags als Hauptspeise verteilt wird. Im Hof wird es jetzt schattig und kühl und die anschließende Abfahrt des Brautpaares samt Gästen auf dem Truck zum zwei Stunden entfernten Haus der Braut werde ich verpassen, denn ich mache mich auf den Heimweg.

4. Dezember: Letzter Schultag und meine Gefühle sind sehr zwiespältig. Einerseits freue ich mich auf Kathmandu und die Weiterreise nach Bangkok, andererseits fällt mir der Abschied von den Schülern und dem netten Kollegium schwer, Schulleiter nicht inbegriffen, denn ihn habe ich nur zweimal zu Gesicht bekommen. In der zweiten Hälfte des Vormittags findet im Schulhof ein Quizz-Wettbewerb statt und daran anschließend gestalten die Kollegen eine kleine Abschiedsfeier für mich.

PS: BEI MEINER RÜCKKEHR NACH KATHMANDU ERFAHRE ICH, DASS DIE SCHULMÖBEL VOR ZWEI WOCHEN IN BASERI ABGELIEFERT WURDEN!